07.01.2023

Antonín Sova: Warum so spät?

Gedichte
Symbolismus vom Feinsten III



Antonín Sova (1864–1928) gehört neben Otokar Březina und Karel Hlaváček zum großen Trio des tschechischen Symbolismus. – So sah es zumindest Vítězslav Nezval.

Anders als der jung verstorbene Hlaváček und der perfektionistische Březina, der sein Werk nach fünf Bänden für abgeschlossen erklärte, war Sova sehr produktiv und lebte lang genug, um viele verschiedene Stile auszuprobieren. Insgesamt kann man sagen, dass Sovas Gedichte zum Impressionismus tendieren. 

Besonders schön sind Sovas sehnsüchtige Liebesgedichte, die oft von verpassten Gelegenheiten handeln. Berühmt geworden ist Sova durch ein Gedicht an Theodor Mommsen, der im Jahr 1897 dazu aufrief, die Tschechen mit Gewalt zu unterdrücken.

Der Auswahlband Sova: "Warum so spät?" versteht sich als Ergänzung zu Otokar Březina und Karel Hlaváček und ist auch in Bezug auf das Nachwort schlanker gehalten. Er enthält vor allem Sovas berühmteste Liebesgedichte wie "Wer zauste so ihr dunkles Haar?" oder "Prinzessin Lyoleja" und zusätzlich eine kleine Abteilung politischer Gedichte.

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Unterstützt durch das Kulturministerium der Tschechischen Republik.

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Antonín Sova: Warum so spät?
Symbolismus vom Feinsten III
ausgewählt und übersetzt von Ondřej Cikán
Tschechisch / Deutsch
November 2023 / Kētos Band 27
ca. 100 Seiten
Hardcover mit Fadenbindung
EUR 22 / CZK 320

ISBN: 978-3-903124-27-1


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Leseprobe:

Wer zauste so Ihr dunkles Haar?

Als sie in meinen Garten kam, fiel schon die letzte Blüte,
Die Sonne lag im Horizont am Wegrand müd, verglühte.

Warum so spät, hab ich gefragt. Die letzte Sonne wird geweckt,
Die Glocken sind im Dunst verstummt, die Vögel sind im Gras versteckt,

Und meiner Wiesen Duft ist Gram, und in das trübe Wasser fiel 
Ein Schatten, der aufs Boot sich legt, und alles ist ein leeres Spiel –

Daß nach der Ferne fort ich will, dort nach der grünen Niederung –
Ich hebe Fahnen auf den Mast, des weißen Segels Takelung.

Im Frühling hab ich Sie ersehnt, als hell die blauen Weiten klangen
In meiner Strahlensaiten Licht, um Ihre Stimme einzufangen.

So sagen Sie, in welchen Breiten damals Ihre Liebe war?
So sagen Sie, in wessen Frühling? Wer zauste so Ihr dunkles Haar?

Wo hat in Ihre offnen Fenster heiß die Nacht gesungen?
Ich sehnte mich erstickt, umsonst, von Stille eng umschlungen.

Und jetzt! Ich denke noch zurück und will schon fort, will nicht mehr warten
Und will schon weit aufs Meer hinaus. Sie kommen blaß in meinen Garten?

Für uns scheint hier die Sonne nicht, kein Berg besingt das Tageslicht.
Uns duftet nirgends mehr das Gras, in unserm Meer kein Lied in Sicht,

Allein will ich nun nach dem Märchenklang des Herbstes hörn. Ich fahr –
Allein, das Neue Land zu suchen. Wer zauste so Ihr dunkles Haar?