Ein Mumien-Epos und andere harte Gedichte
ausgewählt, übersetzt und mit Nachwort versehen von Ondřej Cikán
Lyrik / erzählende Lyrik
Tschechisch / Deutsch
Ein mumifizierter Mönch flieht vor der Einäscherung aus den Katakomben, taucht in der Stadt unter, versinkt in Alkohol und verliebt sich. Zu jeder rührenden Geschichte, und mag sie auch noch so grob sein, gehört doch die Liebe!
Das Epos ist durch ausgewählte Einzelgedichte ergänzt, die in ungemein präzisen Versmaßen auf verstörend unterhaltsame Weise von verzweifelter Zärtlichkeit und unzarter Brutalität handeln.
Diese erste eigenständige deutschsprachige Ausgabe des populären tschechischen Dichters J.H. Krchovský stellt einen kleinen Querschnitt aus dessen umfangreichem Werk dar. Und so fehlen auch nicht ein paar Gedichte, die von der Band Krch-off vertont worden sind. Dabei hat der Übersetzer genau auf das Versmaß geachtet, sodass sich diese Lieder nun auf Deutsch nachsingen lassen (Leseprobe s.u.). Zum Anhören: Spaziergang durch den Urnenhain und Epitaph.
J.H. Krchovský wurde 1960 in Prag geboren, lebt in Brünn und Prag. Sein Pseudonym Krchovský bedeutet auf Deutsch so viel wie J.H. von Friedhof. Von Beginn der 80er Jahre an publizierte er im Samizdat und machte sich mit seiner Poesie im Underground einen Namen. Nach der Wende wurden in rascher Folge seine älteren Lyrik-Sammlungen wiederveröffentlicht und weitere kamen hinzu, und zwar vor allem im Brünner Verlag Host. Im Jahr 1992 erhielt er den Preis der Revolver Revue. Er tritt regelmäßig mit seiner Band Krchoff auf.
Das Kētos publiziert dieses Buch, weil Krchovskýs Mischung aus virtuoser Poesie und Brutalität einzigartig ist, weil in der aktuellen deutschsprachigen Lyrik ausgefallene, präzise Versmaße selten sind, weil ausgefeilte erzählende Lyrik, wie das Epos Mumie auf Reisen eine ist, den Musen am meisten gefällt.
Außerdem ist die Mumie auf Reisen mit den beiden poetischen Schundromanen im Programm des Kētos verwandt, die da heißen: Der blutige Roman von Josef Váchal und Valerie und die Woche der Wunder von Vítězslav Nezval. Thematisch passt das Buch auch zur Lyriksammlung Das eiserne Hemd von Zuzana Lazarová sowie zu den Briefen im Feuer von Karel Hynek Mácha.
Nicht zuletzt sind im Kurzepos Mumie auf Reisen, aber auch in anderen der ausgewählten Gedichte, klare Anklänge an das Liebespos Mai von Karel Hynek Mácha (1810–1836) zu finden, das gleichsam das tschechische Urgedicht ist und unter anderem den tschechischen Surrealismus beeinflusste. Auf dieses Gedicht ist der Übersetzer, Ondřej Cikán, gewissermaßen spezialisiert. Im Jahr 2012 veröffentliche er im Wiener Labor-Verlag seine Neuübersetzung des Mai, ließ sich von diesem Werk zu seinem eigenen Kurzepos Prinz Aberjaja inspirieren und übernahm einzelne Motive auch in seinen Endzeit-Roman Der Reisende – Band 1: Du bist die Finsternis. Bei der Übersetzung von Krchovskýs Gedichten war Cikán also schon zu Hause.
Für das Nachwort hat Cikán zwecks poetischer Einordnung noch Einzelgedichte von Egon Bondy, František Gellner, Otokar Březina sowie drei Gedichte aus den lateinischen Carmina Priapea neu- bzw. erstübersetzt.
Gefördert durch das Kulturministerium der Tschechischen Republik.
Für das Nachwort hat Cikán zwecks poetischer Einordnung noch Einzelgedichte von Egon Bondy, František Gellner, Otokar Březina sowie drei Gedichte aus den lateinischen Carmina Priapea neu- bzw. erstübersetzt.
Gefördert durch das Kulturministerium der Tschechischen Republik.
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J.H. Krchovský: Mumie auf Reisen
Ein Epos und weitere Gedichte
(Mumie na cestách – Epos a další básně)
Tschechisch / Deutsch
(Mumie na cestách – Epos a další básně)
Tschechisch / Deutsch
übersetzt von Ondřej Cikán
Herbst 2018 / Kētos Band 1
112 Seiten
Hardcover mit Fadenbindung
EUR 18 / CZK 280 (bis 28.2. 2022)
EUR 22 / CZK 320 (ab 1.3. 2022)
ISBN: 978-3-903124-00-4
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Leseprobe:
Eine Strophe aus dem Epos Mumie auf Reisen
Mein liebstes Mädchen liegt mit nacktem
Bauch nah bei mir, hält meine Hand
und schwingt in ihres Herzschlags Takten
ahnt nicht, dass einen abgewrackten
verfaulten Frater sie umarmt
ahnt nicht, wenn ihre Seufzer klingen
vom Nieselschauer still versüßt
dass ihre Arme Aas umschlingen
dass sie einen Kadaver küsst …
–
Ich denke manchmal an dich
wenn mit dem Herbst im Kopf
ich durch das nasse Laub kriech
am Zentralfriedhof
Sind mal die Morgen milder
und deine zwei Gesichter eins
verlachst du tote Bilder
alle, nur nicht meins
Gesteh ich dir die Liebe
lässt du dich dann drauf ein
dass ich mit dir spaziere
durch den Urnenhain?
Das schlimmste Abendrot ist
wenn unmerklich du bebst
obwohl du noch nicht tot bist
und dennoch auch nicht lebst!